Sonntag, 3. September 2017

Ruth Erat: "Zum Trocknen aufgehängte Flügel" - Buchbesprechung



Ruth Erat
„Zum Trocknen aufgehängte Flügel“
Schreib- und Zeichenfäden = Gedichte und Skizzen
Waldgut Verlag CH 8500 Frauenfeld
ISBN 978-3-03740-117-0


Immer wieder spannend, wenn eine Büchersendung vom Waldgut Verlag eintrifft. Was mag diesmal enthalten sein? Schon allein das haptische Erlebnis, die Bücher aus dem Kuvert zu nehmen, sie aufzublättern, den Umschlag anzusehen, hineinzuriechen, ist ein Genuss. Dann erst das Lesen in den Büchern. Seien sie nun einmal so schmal wie die vorliegenden „Zum Trocken aufgehängten Flügel“, sei es auch einmal ein umfangreicheres Werk, die Sorgfalt, die dieser Verlag seinen Büchern und damit auch seinen Autoren angedeihen lässt, ist schon etwas Besonderes.
Stricke, Skizzen sind der erste Eindruck, Zeichenfäden wird man eines Besseren belehrt seien dies. Gut, man hilft dem Leser ein wenig auf die Spur, man führt ihn ein in eine Welt, die so skurril ist, das der Leser sich erst einmal vergewissern muss, wo die Reise hingeht. Und siehe da, diese Reise, die so skurril beginnt, surreal möchte man meinen, sie bleibt es bis zum Ende. Da wimmelt es von Fabelwesen (gezeichnet und gedichtet), da gibt es ein Kavalor, und der Leser beginnt zu recherchieren, was er dazu findet: Vom Pferdefutter, über World of war craft, Intensivbetreuung, usw. man gibt es auf und schaut sich die Zeichnung, nein die Zeichenfäden auf Seite 47 an, und kennt sich aus. Das also ist das Kavelor! Wie schön, das dem Leser gesagt wird, dass das Wolkenvogelwesen einst ein Blumenkohl gewesen und danach die Vorhänge in der Küche wochenlang stinken (müssen). Da gibt es so einprägsame Seiten wie die Seite 37: Mag sein,/dass Wimpern tränen/sich Tänzer unterbrechen/weil alle nach der millionsten Pirouette/ gähnen. Ist das nicht herrlich? Ist das nicht wunderbar beobachtet und mitgefühlt? Eher würde der Rezensent bei Wortschöpfungen wie „Schneewolkendunkel“ und „Sonnengeflunker“ die Nase rümpfen und meinen „na ja“, wenn da nicht diese Zeichenfäden wären, die daraus eine Poesie entwickeln und unterstützen, die einfach umwerfend ist. Ja, das darf in diesem Zusammenhang gesagt werden, so skurril wie diese Texte und Zeichenfäden sind, so absurd dürfen auch die Zuschreibungen des Rezensenten sein. Er hat sich dem einfach anzupassen – und selten hat dies soviel Freude und Spaß gemacht!
Es verlockt, sich mit der Autorin näher zu befassen, sich mit ihr vertraut zu machen und siehe da: die nächsten Überraschungen, der Jahrgang der Dame ist so, dass man sie schon eher dem Stand der Pensionisten zuordnen könnte, aber weit gefehlt! Sie promovierte einst über die Mechtild von Magdeburg, eine christliche Mystikerin im 13. Jahrhundert, ist politisch tätig, nahm sogar einmal (1999) in Klagenfurt am Wettlesen zum Ingeborg Bachmannpreis teil, erhielt aber eine Reihe anderer Auszeichnungen. Eine spannende Biografie und eine spannende Dichterin! Da gibt es auf Seite 73 einen Schreibfaden (oder soll man nicht doch lieber sagen: ein Gedicht), der die Autorin treffend charakterisieren könnte:
Auf kleinstem Fuß
Die eigene Haarleiter  erklimmen,
ohne Gruß die erdachte Wand hoch
und sich kopfvoran
jenseits
seiner gezeichneten Existenz
verlieren.
Das ist Poesie, fernab von jedem Modernisierungsgedudel, weit weg von verhatschten Bildern, die herhalten sollten um Pseudostimmungen zu erzeugen, das ist eine Poesie, eine Lyrik, die man hernimmt, um sich mit einer Pfeife, einem Glas Wein auf die Terrasse zurückzuziehen und darüber sinnieren kann, wie Peter von Matt die Lyrik als die „verräterische Pracht“ bezeichnete und dieser schmale Band hier vollinhaltlich damit gemeint sein könnte!


Hans Bäck
PEN – Trieste
Im August 2017

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