Montag, 30. März 2015

Solange die Sonne noch scheint



von Josef Graßmugg


Ein zarter Windhauch
vom Garten, duftbeladen,
trägt Stimmen zu mir.

„Julia, ich weiß, dass ich mich blöd benommen habe. Es tut mir auch leid…“
Zweifellos ist es die Stimme eines jungen Burschen, die zwischen Sträuchern und Hecken hörbar ist. Ich sitze gemütlich auf der Terrasse des kleinen Hotels und genieße die ersten warmen Sonnenstrahlen dieses Jahres. Gleichzeitig sind es die letzten des Tages.
Ungewollt höre ich die Worte eines Gespräches, das nicht für meine Ohren bestimmt ist.
„Du hast mich vor deinen Freunden blamiert.“ höre ich jetzt die weinerliche Stimme des Mädchens „Warum gehst du nicht wieder zu ihnen? Macht euch doch lustig über mich...“
Es ist mir peinlich, als unsichtbarer Dritter Zeuge dieses Gespräches zu sein. Aber soll ich jetzt dieses wunderbare Plätzchen verlassen? Mir bleibt längstens noch eine halbe Stunde, in der ich die Sonne genießen kann. Dann wird es Zeit, der Kühle des Abends zu weichen.
„Ich hab dir doch gesagt, dass es mir leid tut.“ Die Stimme des Burschen klingt mindestens genauso verzweifelt, wie jene des Mädchens.
Obwohl es traurig ist, den beiden zuzuhören, ist es auch amüsant.
Beide wissen, dass da etwas schiefgelaufen ist.
Beide wollen, dass alles wieder ist, wie vorher.
Trotzdem finden sie nicht zueinander.
Unwillkürlich muss ich an meine Frau denken. Haben wir diese Situation nicht auch erlebt? Mehrmals erlebt? In den gleichen und in vertauschten Rollen?

Dieser Tag, so leer,
ausgehöhlt von Stolz und Scham.
Sehnsucht nach Gestern.

Plötzlich habe ich das Bedürfnis, meine Frau anzurufen. Ich stehe auf und will in mein Zimmer gehen. Doch irgendetwas hält mich auf der Terrasse. Ist es die Kraft der Sonne? Ist es das Gefühl, mich nicht davonschleichen zu wollen, als ob ich etwas Verbotenes getan hätte? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass die Jugendlichen irgendwo da draußen im Garten mein Gespräch ruhig mithören dürfen.
Ich rufe den ersten Speicherplatz meines Handys auf.
„Hallo Schatz, meine Arbeit für heute ist erledigt. Ich bin schon im Hotel.“ Mit Sicherheit ist es keine gespielte Höflichkeit, die mir aus dem Handy entgegenkommt. Ich spüre, dass sich meine Frau über den Anruf freut.
„Morgen komme ich nach Hause. Dann lassen wir es uns übers Wochenende gut gehen. Wenn das Wetter so bleibt, müssen wir unbedingt einen Ausflug machen. Nur wir beide. Vermutlich haben die Kinder ohnehin schon andere Pläne.“ Die Bestätigung kommt umgehend. Beide Töchter sind zu einer Geburtstagsparty eingeladen. Erfahrungsgemäß beanspruchen derartige Partys den Großteil des Wochenendes. Wenig überraschend für mich gesteht mir meine Frau, dass auch sie hinaus in die Natur will.
„Dann ist ja alles klar. Ich hätte da auch schon eine Idee, was wir machen könnten: Was hältst du davon, wenn wir wieder einmal in dieses Dorf fahren, wo wir uns damals beim Jugendausflug zum ersten Mal näher gekommen sind; und wir machen dort in der Umgebung die gleiche Wanderung, die wir damals gemacht haben?“
Meine Frau ist zwar ein wenig verwundert, wie ich ausgerechnet auf diese Idee komme, willigt aber sofort ein.
„Das heißt, falls es diesen Weg überhaupt noch gibt. Vielleicht gibt es sogar noch dieses Gasthaus, wo wir damals den Bohnensterz gegessen haben. Ich kann mich noch genau erinnern, dass du zum ersten Mal einen gegessen hast.
Ich merke schon, ich komme ins Schwärmen. Aber ich freu mich wirklich schon drauf.
Weißt du noch, wie meine Freunde und ich dir vorwarfen, du seist eine eingeschleuste Burgenländerin oder Kärntnerin, weil du bis dahin keinen Steirischen Bohnensterz gekannt hattest?“
Natürlich kann sich auch meine Frau noch daran erinnern. Heute sorgen solche Episoden auch bei ihr für Heiterkeit – obwohl sie damals ziemlich gekränkt war.

Worte und Taten
können alles zerstören –   
oder Beginn sein…

„Weißt du was, Schatz? Ich leg jetzt auf. Ich glaube, ich mach noch einen kurzen Spaziergang. Wir sehen uns dann morgen. Ich hab dich lieb.“
Ich beschließe, quer durch den Garten in Richtung Wegkreuz zu wandern, das ich in einiger Entfernung erkennen kann.
Nach wenigen Schritten entdecke ich auf der Holzbank zwischen den blühenden Kirschbäumen zwei Personen. Auch wenn ich sie vorher nie gesehen habe – ich weiß, dass es die beiden sind, deren Gespräch ich vorhin mitgehört habe. Nichts deutet mehr auf einen Streit hin.
So wie sie noch vor wenigen Minuten nicht gemerkt haben, dass ich sie höre, so scheinen sie jetzt nicht zu merken, dass ich sie sehe. Zufrieden lächelnd gehe ich an ihnen vorbei. Ich freue mich schon auf morgen.

Sonnenlicht atmen,
in den Himmel sich träumen –
Liebe erleben.

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