Sonntag, 30. März 2014

Sonntagstext - 30. März 2014

Zeitflussgedanken

von Richard Mösslinger
 
Verweile im Heute,
doch träum‘ ich vom Gestern.
Die Kindheitserinnerung
deckt mich brach zu.
Ich spüre die Bilder,
die mich damals trafen,
ich fühle wie früher:
„ Ich find‘ keine Ruh!“
Doch nicht grau gebunden
sind meine Gedanken,
es war einstmals, glaube  ich,
ganz einfach so.
Ich lebe im Heute
und darf laut verkünden:
Dass dies wirklich ist,
da bin ich sehr froh!


Sonntag, 23. März 2014

Sonntagstext - 23. März 2014




»Take it easy!«


von Mascha Kaléko



Tehk it ih-sie, sagen sie dir.
Noch dazu auf Englisch.
»Nimm’s auf die leichte Schulter!«
 
Doch, du hast zwei.
Nimm’s auf die leichte.
 
Ich folgte diesem populären
Humanitären Imperativ.
Und wurde schief.
Weil es die andre Schulter
Auch noch gibt.
 
Man muß sich also leider doch bequemen,
Es manchmal auf die schwere zu nehmen.


Sonntag, 16. März 2014

Veröffentlichungen - Lesungstermine

30.03.2014 - 20:00 Uhr im Café Anno in Wien, Lerchenstraße 132

Es liest Peter Mitmasser aus der neuen Ausgabe des Radieschen (Zeitschrift für Literatur) zum Thema: "Ruhm & Ehre & Radieschen"; "eine Betrachtung im Jahr 2014" im Gedenken an den 1. Weltkrieg (1914).

Weitere Lesungstermine des Autors:

02.04.2014 - 19:00 Uhr im Wasserschloss Kottingbrunn

und

14.05.2014 - 18:00 Uhr im Gemeindehaus Velm

Der Autor liest u.a. aus seinem Buch "Ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft oder ein gutbürgerliches Trauerspiel" (Resistenz-Verlag, ISBN 978-3-85285-241-6).

Redaktion:
Reinhard Mermi


Sonntagstext - 16. März 2014




Moderne Lyrik

Kurz-Essay von Reinhard Mermi


Würde ich versuchen, meine Lyrik einem strengen Formalismus unterzuordnen, dann würde ich keinen lyrischen Text mehr zustande bringen – ja wäre blockiert. Gerade die Sonettform ist es, mit "ihrer belehrenden Erkenntnis", die mir „gegen den Strich geht“. Soll ich mich zum Schulmeister oder Besserwisser aufschwingen, der dem Leser seine Meinung als die einzig wahre verkaufen will?

Die alther gebrachten Gedichtformen sind nicht mehr zeitgemäß. Es widerspricht dem modernen Selbstverständnis des Lyrikers als dichtende Intelligenz, Operateur, Werkzeug und Geburtshelfer. Frei nach Friedrich ist der Lyriker ein „...Künstler, der die Verwandlungsakte seiner gebieterischen Phantasie oder seiner irrealen Sehweise an einem beliebigen, in sich selbst bedeutungsarmen Stoff erprobt“; der seinem Werk gegenüber auch eine distanzierte, ja kritische Haltung einnehmen kann. Moderne Lyrik ist nicht romantisierend, nicht Sprache des Gemüts. Damit wird auch die „kommunikative Wohnlichkeit“ im modernen Gedicht vermieden. Lyrik sieht ab von der Humanität im herkömmlichen Sinne, vom „Erlebnis“ und der „Gefühlsbetontheit“.

In der Welt, in der wir leben, nehmen die Fragen ständig zu - und die Antworten – die persönlichen Erkenntnisse – im selben Maße ab. Jeder von uns ist Laie, ein Unwissender auf vielen, ja den meisten Gebieten; Vieles – fast Alles – entzieht sich unserem persönlichen Erfahrungsschatz, verstehen wir nicht. So kann moderne Lyrik nur beschreiben, umschreiben, ahnen, erfühlen, fragen, und der einzelne Leser wird in einem oder anderem Falle vielleicht eine Antwort, seine (persönliche) Interpretation finden.



Sonntag, 9. März 2014

Rezension

Walter Flegel / Elke Hübener-Lipkau - 2010

Malvenweg

von Walter Flegel

Die Erzählungen „Unter der Schlinge“ (2009) und „Malvenweg“ (2010) sind die letzten veröffentlichten Werke des inzwischen verstorbenen Autors Walter Flegel. Der zu DDR-Zeiten bereits bekannte Autor gründete nach der Wende das Literatur-Kollegium Brandenburg in Potsdam und war zuletzt Mitglied des Verbandes Deutscher Schriftsteller.

In seiner Erzählung „Malvenweg“ begegnen wir dem Abriss-Spezialisten Martin Becke, der Häuser, Fabriken und ganze Plattenbau-Siedlungen mit der Abrissbirne dem Erdboden gleichmacht und seit seiner Jugend eine Leidenschaft für Landkarten hat. Auf seinem Weg in den verdienten Ostsee-Urlaub landet er in einem verlassenen Dorf, das auf keiner Karte verzeichnet ist. „Orplid“ steht auf dem Ortsschild am Ende des Malvenwegs. Dort trifft er auf einen Wolf, einem Kranken, einer Rothaarigen und anderen, nicht minder merkwürdigen Menschen. Walter Flegel erzählt uns eine Geschichte, in der es um Gefühle, Gegenwart und Vergangenheit geht. Doch welche Bewandtnis hat es mit seinem immer wiederkehrenden Traum von der schwarz gekleideten alten Frau, die sich vom Balkon des leer gezogenen Hauses herabstürzt?

Der Erzählung liegt eine tiefgründige Kritik an den wirtschaftlichen und sozialen Wandlungen nach der Wende zugrunde. Doch der Autor verurteilt nicht, und so siegt am Ende die Zuversicht. Mit dem Ortsnamen „Orplid“, das eigentlich Stedenhof heißt, legt Walter Flegel eine Spur zu dem, bereits 1966 verstorbenen DDR-Journalisten und Autor Ehm Welk, der insbesondere durch sein Werk „Die Heiden von Kummerow“ bekannt geworden war. „Orplid“, der Name des verlassenen Ortes, ist gleichlautend mit dem Namen des fiktiven und unberührten Landes, das Eduard Mörike in seinem Gedicht „Gesang Weylas“ beschreibt:

Du bist Orplid, mein Land!
Das ferne leuchtet;
vom Meere dampfet dein besonnter Strand
den Nebel, so der Götter Wange feuchtet.

...


Ehms „Orplid“, das ist der Kummerower Bruch aus seinen Kindertagen, der passagenweise in seinem letzten Buch „Mein Land, das ferne leuchtet“ noch einmal auftaucht, und der in der jüngsten Vergangenheit abgeholzt und aufgesiedelt worden ist. Im Gegensatz zu Walter Flegels „Malvenbruch“ zieht Ehm jedoch in seinem Buch eine eher düster - realistische Bilanz: „Unterpflügen den Dreck dieser verlogenen Sentimentalitäten von Erinnerungen [...].

Reinhard Mermi

Sonntagstext - 9. März 2013




Der Kopf gegenüber

von Mario Hladicz

Ich erkannte den Kopf erst als Kopf, als er mir schon gut eine halbe Stunde direkt gegenüber auf einer Parkbank sitzend (oder sollte ich sagen: liegend oder vielleicht einfach: ruhend) offen in die Augen geblickt hatte. Schließlich rechnet niemand mit einem einzelnen Kopf, auch wenn man einem solchen direkt gegenüber sitzt. Über den Kopf gegenüber ließen sich ganz schöne Vermutungen anstellen, die mich, so dachte ich sofort, als ich den Kopf tatsächlich als den Kopf gegenüber identifiziert hatte, über diesen leeren Sonntag retten konnten. Fürwahr, dachte ich, dieser einsame Kopf dort gegenüber verleitete zu allerhand Spekulationen; etwa über Herkunft und Absichten und seinen Haarschnitt, über den, der ihn verloren oder womöglich sogar aus freien Stücken hier abgelegt hatte, und über seinen Zustand im Allgemeinen; sein Blick war ernst, zugleich nicht unfreundlich, hin und wieder zuckten seine Lippen. Bestimmt hatte er eine bewegte Geschichte. Ich wollte schon losdenken, da überkam mich ein tiefer Unwille, wahrscheinlich wegen der Verwendung des Wortes „fürwahr“ kurz zuvor. Das Wort passte mir nicht, trübte die Stimmung, machte mich alt und grau, schlussendlich lächerlich. So gab ich mein Vorhaben und mit ihm den Kopf gegenüber bald verloren. Von einem Moment auf den anderen war er mir, freilich schuldlos, zum Bild des Alltäglichsten geworden. Auch begann es leicht zu regnen. Also erhob ich mich, ließ den Kopf gegenüber Kopf gegenüber sein, floss zähflüssig weiter in eine andere Ecke dieses trüben Sonntags. Sollten sich andere Gedanken über ihn machen. Mir war er fortan der gleichgültigste.



Samstag, 1. März 2014

Sonntagstext - 02.03.2014


Die Spaghettiernte

Hans Bäck


Natürlich streiten sich alle möglichen Regionen Italiens um als Erfinder der Pasta und damit der Spaghetti zu gelten. Das behaupten die in Ligurien, die Neapolitaner, auch die Marken und die Toskana.

Sei es wie es sei, unbestritten ist aber der jährliche Event, das jährliche Großereignis schlechthin: die schweizerische Spaghettiernte.

Man fragt sich natürlich, warum gerade in der Schweiz, und da nicht einmal im Tessin, sondern im Jura die besten Spaghetti geerntet werden. Es ist unbestritten: Kein anderes Land in Europa wäre mehr geeignet, dieses Ereignis zu einem europaweiten Fest zu machen als die Schweiz. Vielleicht noch die Tiroler, die in etwa so geschäftstüchtig sind wie die Schweizer, aber die geografische und damit klimatische Struktur des Landes in den Alpen lässt das nicht zu. Vielleicht, wenn Südtirol bei Tirol geblieben wäre? Aber so ist es eben die Schweiz.

Wochen vor dem entscheidenden Tag brechen in ganz Europa die Erntehelfer auf, und in den letzten Tagen und in den letzten Tagen unmittelbar kommen auch die Gäste und Besucher in Scharen. Rund um La Chaux de Fonds ist kein Zimmer zu kriegen, ja, bis hinunter nach Neuchàtel sind freie Zimmer Mangelware. Die Erntearbeiter werden in einfachen Baracken untergebracht, in besonders starken Jahren hilft das Schweizer Militär mit Hochgebirgszelten aus.

Bei der Ernte der Spaghetti geht es um Stunden! Die ersten werden zu Beginn der Erntewoche in aller Früh, beim Morgentau geerntet. Das sind die ganz zarten, die aber noch nicht die volle Länge erreicht haben, aber von Feinschmeckern in aller Welt bevorzugt werden. Das ist fast so ein Kult wie mit dem Extra Vergine Olivenöl aus allererster Pressung (am besten noch, bevor überhaupt gepresst wurde). Diese ersten Spaghetti erhalten auch ein eigenes Zertifikat, in dem die Eidgenössische Lebensmittel- und Landwirtschaftsanstalt die Originalität des Produktes bestätigt. In den nächsten Tagen werden die geernteten Spaghetti immer länger und breiter. Sie nehmen auch an Stärke zu, bis hin zum Ende der Spaghettikampagne die ganz dicken Makkaroni, Fetuccine und Cannelloni dran kommen. Aber bis dahin ist es noch Zeit, die Kampagne beginnt ja erst. Am Vorabend des ersten Erntetages läuten in la Chaux de Fonds, in Le Locle und vor allem in Les Planchettes sämtliche Glocken, die Sirenen der Feuerwehrhäuser und der Schweizerischen Miliz heulen Minuten lang auf. Die Straße über den Col du Roches wird gesperrt, und ein riesiges Leuchtfeuer signalisiert auch den Franzosen jenseits der Grenze, es ist wieder soweit!

Nun können die Nächte im Jura rund um den Namenstag des Hl. Hugo noch empfindlich frisch sein. Jedoch die Erntearbeiter müssen um 4h morgens hinaus, denn nur solange die Spaghetti vom Tau befeuchtet sind, lassen sie sich ohne größere Verluste schneiden. Es ist wichtig, dass sie knapp über dem Boden abgeschnitten werden, denn in den bodennahen Teilen sind die besten Nährstoffe enthalten. Das ist auch leicht in einer Packung zu erkennen: Wenn die Spaghetti an einem Ende nur kaum sichtbar stärker sind, dann wurden sie ordnungsgemäß geschnitten. Vorsichtig bringen die Erntearbeiter die ersten Körbe zu den Sammelstellen. Es ist fast wie die Weinlese im Burgenland, wo auch die Körbe mit den gelesenen Trauben in große Bottiche geleert werden. Nur hier wird nichts geleert. Sondern ganz sorgfältig wird Büschel um Büschel herausgehoben, vom Entemeister wird persönlich jede Handvoll geprüft und dann in die Sammelboxen gelegt. Dabei wird genau unterschieden zwischen erster, zweiter und dritter Wahl. Und wenn dann am Vormittag des ersten Erntetages die Fuhren mit der frischen Ernte nach La Chaux des Fonds fahren und am Hauptplatz eintreffen, dann beginnen die Festveranstaltungen für die Gäste. Die Erntearbeiter sind natürlich draußen auf den Feldern, denn sie müssen bis zum Abend durchhalten. Denn ab der Mittagszeit werden die Spaghetti für den industriellen Bedarf geerntet. Und da geht es nicht mehr um Aussehen und Qualität, da geht es nur mehr um Menge. Da müssen die Tonnen für den weltweiten Bedarf an Spaghetti abgearbeitet werden. Ohne Pause arbeiten die Helfer aus allen Ländern Europas und die Immigranten aus dem Maghreb durch, um das Plansoll zu erreichen. Es ist beinharter Akkord, der die Menschen dort antreibt, die einzige Pause wird ihnen erlaubt, wenn sie ihre Schneidwerkzeuge austauschen müssen. Aber auch das funktioniert mit Schweizer Präzision: Der Arbeiter hebt seine Hand auf und in wenigen Augenblicken ist der Aufseher mit dem Ersatzschweizermesser da, und es geht schon wieder weiter: Bücken, mit der linken Hand das Bündel umfassen, abschneiden, aufrichten und in den Behälter legen, und das von 4 Uhr früh bis zum Abend gegen 18 Uhr. Dann erst dürfen die Menschen von den Feldern in ihre Quartiere zurückkehren. Dort bekommen sie eine Pasta, zubereitet aus jenen Spaghetti, die trotz aller Vorsicht und Achtsamkeit zu Bruch gegangen sind. Und während dessen startet in der Stadt das große Fest. Bis zum Ende der Kampagne jagt eine Veranstaltung die andere: Aus dem Appenzellerland kommen die Jodler, die ihre Münzen im Teller kreisen lassen, aus Graubünden die Alphornbläser, aus dem Kanton Bern die Bergführer um mit ihrer Ausrüstung Vorführungen zu machen, die Air Zermatt führt spektakuläre Hubschrauberbergungen durch, wobei die typische Frage der Zermatter Flugretter an ihre vermeintlichen Opfer „Habet Sie Ihre Creditkarte dabei?“ in 8 Sprachen (inclusive russisch und japanisch) wiederholt wird. Aus dem Wallis kommen Weinbauern um ihren Fendant vorzustellen und für das Gläschen (ein Probierglas mit 1/16 Liter Inhalt) 5 Franken verlangen. Die Banken aus dem Kanton Zürich haben mobile Beratungsstellen eingerichtet und nehmen sich für einen Interessenten auch dann Zeit, wenn dieser nur eine lächerliche Million veranlagen will. Getreu dem Schweizer Grundsatz, „Reden wir über das Geld, auch Armut ist keine Schande“ nehmen sie auch Beträge ab CHF 500 000,- zur Veranlagung an. Für die 10 Tage der Spaghettikampagne ist in La Chaux des Fonds die gesamte Schweiz vertreten, um den Besuchern aus aller Welt die Schweiz in all ihren Facetten zu präsentieren.

Wenn wundert es, dass die Tiroler schon längst neidig geworden sind und an der Züchtung von klimaresistenten Sortern arbeiten? Der berühmte Volkskundler Prof. Hans Haid wettert zwar unermüdlich dagegen und meint, das wäre keine arttypische Produktion in den Bergen und er meinte in einem Radiointerview, die Ötztaler Wirte sollten einmal ein richtiges Tirolergröstl auf den Tisch bringen, das diese Bezeichnung auch verdient und nicht immer alle Essensreste darin verarbeiten und dann noch einen Preis jenseits von € 15 dafür zu verlangen. Das wäre der Ausverkauf der Heimat meinte er, aber wie immer steht dieser Mahner auf verlorenem Posten. Wie vor kurzen im „Tiroler Landboten“ nachzulesen war, gibt es erste Ergebnisse mit einer ganz speziellen Sorte, diese wurde sofort EU-weit geschützt (eingetragenes Regionales Herkunftszeichen) und es ist zu erwarten, dass spätestens am 1. April nächsten Jahres die ersten „Spaghetti Originali Tirolesi“ auf die Märkte kommen werden.