Samstag, 20. Dezember 2014

Adventskalender 2014 - 20. Advent



 

Nachrichten vom 16.12.2014

von Christine Teichmann

In Dresden demonstrieren 15.000 für Deutschland,
als hätten sie Angst, in Vergessenheit zu geraten, wenn sie nicht immer wieder betonen, was Deutschland für die Welt bedeutet
- als könnte die Welt Deutschland je vergessen…

Wir wollen nicht mehr tolerant sein, sagt einer
und ja, sage ich
lasst uns damit aufhören.
Üben wir Intoleranz,
wenden wir den Verhetzungsparagraphen an
bei jeder Stammtischrunde.
Schlucken wir nicht mehr unsere Antworten hinunter,
um die Stimmung bei der Weihnachtsfeier nicht zu stören
bei jedem rassistischem Witz,
bei jedem frauenfeindlichen Witz,
bei jedem homophoben Witz.

Üben wir uns endlich in Intoleranz
und lassen wir doch erkennen
dass   ein Mensch
            ein Mensch
            ein Mensch ist.
Sogar die, die anderen das Mensch-Sein leugnen.
Die da unbedingt eine Grenze ziehen müssen
mit Stacheldraht,
und auf der anderen Seite sind die anderen,
deren Kinder keine Schulbildung brauchen
                        nur Waffenlieferungen
deren Kinder nichts zu essen brauchen
                        nur Gentechnik Saatgutlieferungen, die sie nicht bezahlen können
deren Kinder keine Liebe brauchen
                        nur Ausgrenzung und Chancenlosigkeit.

Lasst uns Hassprediger importieren
und Gotteskrieger exportieren,
lasst uns die Grenzen sperren
bis sie gesprengt werden.
Dann kommen sie nicht mehr Zuflucht suchend,
dann kommen sie, um endlich ihr Recht zu fordern.

Das Recht, genauso engstirnig zu sein,
das Recht, genauso intolerant zu sein,
das Recht, zu definieren, wer Recht bekommt.

Ich habe auch Angst.
Angst, dass meine Tochter ein Kopftuch tragen muss
und mein Sohn eine Waffe.
Aber das sind unbestimmte Ängste vor einer unbestimmten Zukunft.
Die Angst, die ich bislang körperlich erlebt habe,
waren besoffene Zeltfestbesucher,
war der Spießrutenlauf, den du als Frau auf einer Baustelle, in einer Männerarbeitswelt durchläufst
war die Allmachtsphantasie eines schlagenden Vaters.
Das, was mich bis jetzt behindert hat
sind abendländisch patriarchale Strukturen,
sind Überbleibsel einer NS Ideologie, die wir immer noch ungefragt in uns tragen;
sind Kleidungsvorschriften, die uns in unbequeme Schuhe stecken,
die uns durch Push-up BHs und andere Korsette das Atmen erschweren,
sind Ansprüche an unsere Körper, einem verfremdeten Idealbild hinterher zu hecheln.

Wir haben unsere Missionare ausgesandt,
damit sie von uns lernen,
was Nächstenliebe bedeutet,
was Barmherzigkeit bedeutet,
was Toleranz bedeutet
- aber wir haben’s ja auch nicht verstanden.
Wir haben geglaubt, dass niemand zwischen den Zeilen liest.

Liebe deinen Nächsten, wenn er so aussieht wie du.
Teile dein Brot und deinen Mantel, wenn er so denkt wie du.
Preise ihn selig, wenn er bleibt, wo er ist
und schön Bitte und Danke sagt
und nicht etwa: her damit, das gehört mir.

Lernen Sie Geschichte, hat Kreisky einem Journalisten gesagt.
Lernen Sie Geschichte, wenn Sie wissen wollen,
wem wir unser Reichtum verdanken,
wem wir unsere Demokratie verdanken,
wem wir unser Demonstrationsrecht verdanken.
Unser Demonstrationsrecht für Intoleranz.

Also gehen wir auf die Straße
und zünden ein Licht für die Wahrheit an,
auch wenn wir sie bei Tageslicht am Marktplatz nicht finden.

1 Kommentar:

  1. Schöner, besinnlicher Text, muß ich sagen. Und auch, Frohe Weihnachten bzw. Uallahu akbar!

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