Sonntag, 15. Juni 2014

Sonntagstext - 15. Juni 2014



Roquefort allein

Ein Einkauf

von  Günther Roth

Die Anzeige an der Haltestelle der Linie nach Mariagrün zeigt 3 Minuten bis zum Eintreffen der Tram. Meine Tasche in der linken Hand fühlt sich schwer an und verzieht meine Rückenmuskulatur und ich beschließe heute nach etwas längerer Pause mein Fitnessprogramm wieder aufzunehmen. Die Tram ist nicht so total überfüllt wie es um diese Zeit kurz vor Geschäftschluss üblich ist. Die Fahrt verläuft den vierstöckigen Häusern entlang bis immer mehr Schlagschatten mit Sonnenstahlen abwechselnd durch das Fenster dringen und sich entspannend auf mein Gemüt legen. Die Gegend wechselt ins Ländliche und ich bereite meinen Ausstieg vor. Die Tram hat noch zwei Stationen zur Endstation doch mit mir steigen die letzten Fahrgäste aus und gehen eilenden Schrittes davon. Gleich gegenüber der Haltestelle befindet sich ein Lebensmittelladen. Die kleine Verkäuferin, die häufig anwesend ist, wenn ich einkaufe, taucht den beginnenden Abend  in ein wunderbares Kirschrot. Wir begrüßen einander, ich gehe zur Milchvitrine nehme eine Halbliterpackung heraus, umkreise die Feinkost und starre auf das reichhaltige Käse - und Wurstangebot. Sie ist reizend dachte ich mir, sie einfach nur ansehen und von ihr ein Lächeln geschenkt bekommen, macht mich glücklich. Wir kommen überein, dass sie ein größeres Stück von dem frischen Roquefort abschneidet und abwiegt. Plötzlich aus heiterem Himmel heraus geht in meinen Kopf alles wild durcheinander. Sind es ihre blonden Haare, die durch ihre Schirmmütze wogend den Weg in die Freiheit finden und meiner Phantasie freien Lauf lassen? Ist es nur Chemie, die sich da zu einer Begierde verdichtet? Verschmilzt unser beidseitiges Verlangen in  sehnsüchtig sich treffenden Blicken? Der Blondschopf tritt in den Hintergrund und ein anders viel kräftigeres sehnsüchtiges Bild schiebt sich davor. Wir beziehen gerade ein Zimmer in einem der schönen Thermenhotels der näheren Umgebung. An der Rezeption gibt es keine delikaten Fragen, vielleicht weil wir für Vater mit eben maturierter Tochter gehalten werden können. Das Doppelzimmer ist einladend, ein kleines Blumenbouquet verströmt Blütenduft. Beim Abendessen sind wir zuvorkommend, reichen einander Brot und Wein. Ich schenke häufig vom samtigen Roten nach und wir genießen den Abend. Total entspannt und vom Wein in heitere Laune versetzt, betreten wir zart liebkosend das Doppelzimmer. Mein Blick verweilt einen Augenblick auf dem schön bezogenen Bett, begrenzt vom  Blumenduft  und da reißt der Film.
Beinschinken, Farmerschinken, Schinken in Honig gebeizt, Französischer Emmentaler, Chèvre, Roquefort, Edamer etliche delikate Wurstsorten, ich schaue über diese Köstlichkeiten hinweg in ihr jugendliches unberührtes Antlitz. Sie lächelt ein sanftes, unschuldiges Lächeln. Ich nehme wieder ihren wogenden Blondschopf nach halluzinatorischer Abwesenheit war. Sehe wie sie das Stück Roquefort in ihre Hand nimmt. Aus ihrer Hand  wirkt es für mich wie ein  Aphrotisiakum und seit längerem schon trommelt mein Herz ein Stakkato, wenn mich ihr Blick trifft. Ich kann meinen Wunsch kaum unterdrücken, zu sehr begehre ich sie bereits. Ich muss es ihr sagen, ohne sie zu verletzen, ihr Herz gewinnen. Aber mir fehlen die Worte sie kommen mir nicht über meine Lippen, obwohl ich ihr soviel zu sagen hätte, nehme ich den Roquefort aus ihrer Hand, lächle sie noch einmal bezaubernd an und gehe zur Kasse.

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