Sonntag, 5. Januar 2014

Das Sonntagsgedicht - 05.01.2014










Das Karussell
Jardin du Luxembourg

    Mit einem Dach und seinem Schatten dreht
    sich eine kleine Weile der Bestand
    von bunten Pferden, alle aus dem Land,
    das lange zögert, eh es untergeht.
    Zwar manche sind an Wagen angespannt,
    doch alle haben Mut in ihren Mienen;
    ein böser roter Löwe geht mit ihnen
    und dann und wann ein weißer Elefant.

    Sogar ein Hirsch ist da, ganz wie im Wald,
    nur daß er einen Sattel trägt und drüber
    ein kleines blaues Mädchen aufgeschnallt.

    Und auf dem Löwen reitet weiß ein Junge
    und hält sich mit der kleinen heißen Hand,
    dieweil der Löwe Zähne zeigt und Zunge.

    Und dann und wann ein weißer Elefant.

    Und auf den Pferden kommen sie vorüber,
    auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprunge
    fast schon entwachsen; mitten in dem Schwunge
    schauen sie auf, irgendwohin, herüber -

    Und dann und wann ein weißer Elefant.

    Und das geht hin und eilt sich, daß es endet,
    und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.
    Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet,
    ein kleines kaum begonnenes Profil –.
    Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet,
    ein seliges, das blendet und verschwendet
    an dieses atemlose blinde Spiel ...

Rainer Maria Rilke (1875 – 1926)


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Die Redaktion.

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